Medien & Presse · Swiss Alps Classics

Nachbericht 2017

„Wir sind extrem zufrieden“

Das erste Andermatt Swiss Alps Classics Festival ist Geschichte. Zeit, Bilanz zu ziehen.

Der Initiator des Festivals, Peter Michael Reichel, ist nach den fünf Konzerten und sechs Vorträgen in Summe gesehen „extrem zufrieden“. Bereits im ersten Jahr habe das Festival seine Erwartungen übertroffen. „Wir hatten mit 700 bis 800 Besuchern gerechnet, nun liegen wir bei ca. 1000. Und das, obwohl Lang Lang, das ursprüngliche Aushängeschild des Festivals, kurzfristig absagen musste.“

Igor Levit, der für Lang Lang am Eröffnungsabend einsprang, habe sich als Glücksfall erwiesen. Die Umgestaltung der Mehrzweckhalle in einen stilvollen Konzertraum, das wunderschöne Ambiente der katholische Kirche St. Peter und Paul in Andermatt, der mystische Kristallsaal Sasso San Gottardo sowie die (Konzert-) Räumlichkeiten im Hotel The Chedi seien perfekte Schauplätze gewesen.

Vor allem während der Woche gäbe es Potential nach oben, meint Reichel. Eine erste Idee sei, die Fachvorträge auf „Thementage“, zum Beispiel einen „Goethetag“, zu konzentrieren.

Auch der künstlerische Leiter des Festivals, Prof. Dr. Clemens Hellsberg, äußerte sich sehr zufrieden über die Festivalwoche. „Das künstlerische Ergebnis ist dank der grandiosen Künstlerinnen und Künstler den Erwartungen voll und ganz gerecht geworden. Die verschiedenen Aufführungsorte, auch in akustischer Hinsicht, bewährten sich.“ Das Konzept der Intimität der Orte und der Nähe der Ausführenden zum Publikum habe sich bestätigt. „Die Künstler verhalten sich anders als in der Anonymität der Großstadt.“

Igor Levit, Olga Peretyatko, Herbert Lippert, die Philharmonia Schrammeln, Isabel Karajan, die Mitglieder des Swiss Alps Chamber Ensembles, Emmanuel Tjeknavorian und Maximilian Kromer – sie alle seien sehr gerne hier in Andermatt gewesen und hätten sich von der Atmosphäre begeistert gezeigt, bestätigt Hellsberg. Besonders erfreulich und bemerkenswert sei, dass das „Publikum äußerst konzentriert und aufmerksam war“, obwohl das musikalische Programm anspruchsvoll gewesen sei. Dass die Vorträge nicht so gut besucht waren, „wie sie es sich verdient hätten“, bedauert Hellsberg, denn auch „für Kenner gab es neue Aspekte und Erkenntnisse aus der Mozartforschung“.

Die Chefin des Organisationskomitees, Sandra Reichel, und ihr Team hatten ganze Arbeit geleistet, um die Ideen hinsichtlich des ersten Festivals umzusetzen. Die kleinsten Details wurden bedacht, für das Publikum sollte jeder Besuch ein Erlebnis sein. Besonders wichtig war Sandra Reichel, dass das Festival „in der Region verankert“ wurde: „Das ist gelungen“, resümiert sie. „So zum Beispiel durch die Auftritte des Cäcilienvereins Andermatt und der Alphornbläser. Wir wollen die Einbindung der Menschen in der Region weiter pflegen, sie liegt uns sehr am Herzen.“

„Ein guter Start, eine lebendige Festivalwoche, die hinter uns liegt, schaffen gute Voraussetzungen für eine kreative Weiterentwicklung“, sind sich Initiator Reichel und der künstlerische Leiter Hellsberg einig. „Das Ziel ist in der Zukunft noch mehr Klassikfreunde und interessierte Gäste in die Region rund um Andermatt zu bringen.“


Fulminanter Abschluss beim 1. Andermatt Swiss Alps Classics Festival

Der 22-jährige Emmanuel Tjeknavorian und der 21-jährige Maximilian Kromer, die Young and Rising Stars dieses Festivals, bestritten im Hotel The Chedi das Abschlusskonzert des ersten Klassikfestivals in Andermatt. Sie beeindruckten auf wunderbar erfrischende, selbstbewusste und gleichzeitig sympathische Art.

Den Beginn des Abends eröffnete die zweisätzige Sonate für Klavier und Violine A-Dur KV 305 von jenem Meister, der das Motto dieses ersten Festivals „Andermatt Swiss Alps Classics“ war: Wolfgang Amadeus Mozart.

Den zweiten Programmpunkt bildete die Sonate für Violine solo von Béla Bartók (1881–1945), einem Gipfelwerk der Violinliteratur, von dem selbst hervorragende Geiger meinten, sie hätten das Stück nach dem ersten Satz wieder zur Seite gelegt, weil es für sie nicht spielbar gewesen sei. Auch Tjeknavorian scheiterte als 18-Jähriger beim ersten Versuch: Damals sei er technisch zu wenig fortgeschritten gewesen. Aber er habe nicht locker gelassen. Zwei Jahre später dann der erste Auftritt. Sogar mit den von Bartók ursprünglich geplanten Vierteltönen, welche aufgrund der spieltechnischen Schwierigkeiten in der gedruckten Partitur keine Berücksichtigung mehr fanden. „Halbtöne können, meiner Meinung nach, die passend-mysteriöse Atmosphäre nicht kreieren“, meint Tjeknavorian (Programmheft, S. 65).

Bevor der junge Geiger die Sonate spielte, erklärte er dem Publikum Sequenzen aus dem Stück: Wie sich die Geige „in ein Schlagzeug“ verwandelt, in „eine weinende Mutter“ oder in eine Wiese mit „summenden Insekten“ – zum Teil klangliche Effekte Bartóks, die man zuvor noch nie von einer Violine hörte.

Der zweite Teil des Abends war der „Kreutzersonate“ (Sonate für Klavier und Violine A-Dur op. 47) von Ludwig van Beethoven (1770-1827) gewidmet. Die über 120 Gäste des gefüllten Konzertraums hörten konzentriert zu. Selbst die Kinder blieben bis zum letzten Ton aufmerksam sitzen und verfolgten gespannt die Darbietung des bereits mehrfach preisgekrönten Duos Emmanuel Tjeknavorian und Maximilian Kromer, das auch in Andermatt das Publikum begeisterte.

Mit zwei Zugaben, je einem Satz von Robert Schumann und Johannes Brahms aus der Sonate F.A.E. für Violine und Klavier, gewidmet deren Freund Joseph Joachim, einem der bedeutendsten österreichisch-ungarischen Violinisten seiner Zeit, klang der letzte Abend des Andermatt Swiss Alps Classics Festival aus.

Zur Pflege von Mozarts Werken in der Wiener Staatsoper

Es war der letzte Vortrag der insgesamt sechs, die das Andermatt Swiss Alps Classics wissenschaftlich rund um das Leitthema des Festivals, Wolfgang Amadeus Mozart, begleiteten. Der Direktor der Wiener Staatsoper, Dominique Meyer, erzählte im The Chedi über die „Pflege von Mozarts Werken in der Wiener Staatsoper“.

Eigentlich sei es „wie die Quadratur des Kreises“, über dieses Thema zu reden. Denn es werde „generell nicht über Werke diskutiert“, wie z. B. bei Verdi, Wagner, Beethoven, Strauss usw. Bei Mozart aber „habe jeder seine Ideen“. „Wie es sein soll, wie es heute nicht mehr ist“, meinte Direktor Meyer.

Zwischen der Zeit Mozarts und der „Goldenen Ära der 50er Jahre“ lägen viele Veränderungen. „Im 19. Jahrhundert zum Beispiel wurden sämtliche Mozartopern an der Wiener Hofoper in Deutsch aufgeführt“, erklärte Meyer. Das sei bis in die Nachkriegszeit die Praxis gewesen. Die Rückkehr zur Originalsprache sei durch den damaligen Staatsoperndirektor Herbert von Karajan erfolgt, der 1958 als erster Dirigent die Mozartopern wieder in italienischer Sprache aufführte.

Es sei also die Sprache, ihr Verständnis in damaliger und heutiger Zeit, die Schwierigkeiten mit sich brächte, es sei aber auch die Philosophie der Interpretation. Man denke an die Auslegung und Umsetzung des Begriffs „Werktreue“. Mozart, zum Beispiel, habe sich einmal in einem Brief an Aloisia Weber ganz klar gegen die Treue gegenüber der Niederschrift in der Partitur geäußert und spontane Verzierungen begrüss, erzählte Meyer.

Man denke aber zum Beispiel auch an den „Schock“, als Barockspezialisten auf Instrumente aus der Zeit der Komponisten zurückgriffen. Es brauchte lange, bis man die Instrumente wirklich beherrschte und man sich an ihre Klänge gewöhnt habe, meinte Meyer.

Wie Meyer es mit Mozart und der Pflege seiner Werke an der Wiener Staatsoper halte? Er habe seit seinen Anfängen an der Staatsoper die Gründung eines „Mozart-Ensembles“ verfolgt. Das brauche sehr viel Zeit. Es gehe um eine sorgfältige Auswahl von jungen Sängerinnen und Sängern bei verschiedenen Gesangswettbewerben und um die richtige Besetzung der Rollen: Welche Charaktereigenschaften zeichnen den Grafen im „Barbier von Sevilla“ aus, welche in der „Hochzeit des Figaro“, oder aus welchen Verhältnissen stammt Susanna. „Stimme und Persönlichkeit der Sänger produzieren eine Dramaturgie“, stellte Meyer fest. Ganz wichtig sei auch die Wahl des Dirigenten. Manche seien Barockspezialisten, sehr gut mit historischer Aufführungspraxis und den Quellen vertraut, andere hätten einen freieren Zugang zu den Werken.

Ein ganz wichtiger Faktor bei der Interpretation von Mozarts Werken sei auch der Regisseur. Es gehe nicht um die Frage der Entscheidung zwischen einer klassischen oder modernen Interpretation: „Ich möchte, daß die Intentionen des Dichters, des Librettisten und des Komponisten auf der Bühne sichtbar sind“, meinte Meyer abschliessend zu dem spannenden letzten Vortrag.


Die Maske des roten Todes im Widerschein des mächtigen Bergkristalls

Kristallsaal Sasso San Gottardo: In der Ecke eine schwarze verhüllte Gestalt (Isabel Karajan) auf einem hohen, schmalen Podest. Eine verrostete lange Kette von der Gesteinsdecke, daran ein großes Buch mit der berühmten Erzählung von Edgar Allan Poe Die Maske des roten Todes (1842). Zwei schmale Spiegel in goldenem Rahmen am Felsen befestigt, ein kleines Podium mit Platz für sechs Musiker. Der große Bergkristall, für den der Kristallsaal so berühmt ist, verhüllt.

Stille im Raum, das Licht geht an. Die Gestalt im schwarzen Umhang lässt den Mantel fallen. Ein bis zum Boden reichendes, rotes langes Kleid kommt zum Vorschein, darunter dunkles Shirt, die Haare unter einer eng anliegenden Wollmütze versteckt. Streng das Gesicht, wenn die Stimme laut und klar anhebt und aus dem Buch rezitiert. Die Musiker in dunklem Anzug mit rotem Hemd, die Harfenistin in schwarzem Kleid und roter Blume im Haar. Rundherum das graue Gestein im Inneren des St.-Gotthard-Massivs. Ein aussergewöhnlicher, einzigartiger Schauplatz.

Nach den ersten Sätzen die ersten Töne des eigens für das Festival gegründeten Swiss Alps Chamber Ensembles: die bekannte Schweizer Harfenistin Ursula Fatton, der künstlerische Leiter des Festivals, Clemens Hellsberg, seine beiden Söhne Dominik und Benedikt, Robert Bauerstatter von den Wiener Philharmonikern und der Arzt (und frühere Philharmoniker) Manfred Hecking. Sie spielen Conte Fantastique für Harfe und Streichquintett des französischen Komponisten und Dirigenten André Caplet, ein Werk, das die bildreiche Sprache Edgar Allen Poes kongenial in Musik „übersetzt“. Inhalt und Ausdruck von Text und Musik ergänzen einander so fantastisch, dass man die 77 Jahre, die zwischen Dichtung und Komposition liegen, vergisst.

Stimmgewaltig und nuanciert erzählt Isabel Karajan von der abgeschiedenen, befestigten Abtei mit „hohen, mächtigen Mauern, die eiserne Tore hatte“. In diese zogen sich Prinz Prospero und seine Höflingsschar vor der im Land wütenden Pest zurück. Nach fünf, sechs Monaten findet in den verriegelten Gemäuern ein Fest von Reichtum und „zügelloser Lust“ in sieben „wahrhaft königlichen Gemächern“ von unterschiedlicher Farbigkeit statt. Begleitet vom Ticken einer Standuhr, die zu jeder Stunde schlägt und mit ihrem tiefen, sonoren Klang sogar die „Musikanten des Orchesters“ zwingt, „ihr Spiel zu unterbrechen, um dem Ton zu lauschen“.

Es schlägt Mitternacht. Eine Maske ist plötzlich anwesend, die „noch keinem aufgefallen war. Lang und hager war die Erscheinung, und von Kopf bis Fuß in Leichentücher eingehüllt; die Maske, die das Gesicht verbarg, war dem Antlitz eines Toten täuschend nachgebildet.“ Zum Entsetzen der Anwesenden stellt sich heraus, dass sich kein Mensch unter dieser Verkleidung befindet: „Und nun erkannte man die Gegenwart des roten Todes. Er war gekommen wie ein Dieb in der Nacht. Und die Festgenossen sanken einer nach dem andern in den blutbetauten Hallen ihrer Lust zu Boden und starben.“

In der zweiten Hälfte des Stücks fielen plötzlich die Vorhänge um den Bergkristall, der nun in den Spiegeln an der Felswand zu sehen war. In unterschiedlichen Farben, wie die Farben der von Poe beschriebenen Räume in der Abtei: blau, purpurn, grün, orange, weiß, violett, scharlachrot. In Poes Erzählung „Die Maske des roten Todes“ scheitert der Versuch von Privilegierten, sich vor der Pest in Sicherheit bringen zu können – sie fallen letztlich ihrer eigenen Inhumanität und Hybris zum Opfer. Die Erzählung schließt mit den Worten: „Und unbeschränkt herrschte über alles mit Finsternis und Verwesung der Rote Tod.“

Viel Applaus im Kristallsaal der ehemaligen Festung im Sasso San Gottardo, die im Zweiten Weltkrieg errichtet wurde, um die im Norden und Süden lauernden Gefahren abzuwehren. Im Vergleich zu Poes Erzählung hielt der befestigte Ort den äußeren Wirren stand: Die Bevölkerung der Schweiz blieb von der Pest des Krieges, die draußen wütete, verschont.

Die Aufführung am 30. Juni (Regie: Klaus Ortner) war ein Gesamtkunstwerk aus Dichtung, Rezitation, Instrumentalmusik, Architektur und Natur. Nach der schaurigen Geschichte von Poe / Caplet bildete die Motette Ave verum corpus KV 618 von Wolfgang Amadeus Mozart, gesungen durch den Cäcilienverein Andermatt, nicht nur einen musikalischen und dramaturgischen Kontrapunkt, sondern vermittelte eine Ahnung von überirdischer Schönheit – ein Kontrast, der im einzigartigen Kristallsaal besonders eindrucksvoll zur Geltung kam.

Mozarts Krankheiten

Sowohl die Musik als auch die Medizin prägen das bisherige Leben von Assoc. Prof. PD. Dr. med. Manfred Hecking gleichermaßen. Von einem ehemaligen Mitglied bei den Wiener Philharmonikern einerseits und einem Facharzt für Innere Medizin andererseits war es doppelt spanned zu hören, was er über Mozarts Krankheiten zu erzählen hatte. Es war der vorletzte von insgesamt fünf Vorträgen, die die Vortragsreihe der Andermatt Swiss Alps Classics im The Chedi im Programm hatte.

„Musik als Medizin“, das sei wissenschaftlich erwiesen, leitete Hecking den Vortrag ein. Ob gegen Angst, zur Schmerzlinderung, für schnellere Heilung, gegen Depression, Kopfschmerzen, gegen zu hohen Blutdruck, aber auch gegen Demenz und vieles mehr, was die Menschen plagt, sei sie eine wunderbare „Medizin“.

Mozart sei generell nicht schwächlich, im Gegenteil, eher von robuster Natur gewesen, sonst hätte er die vielen Strapazen gar nicht durchgehalten. Die Musik war für ihn, trotz aller Widrigkeiten, vielleicht eine gute Medizin, liesse sich daraus schliessen. Er habe aber immer wieder einmal Krankheiten auf seinen Reisen eingefangen.


Es gäbe in der Literatur, meist Briefe, "mindestens 18 dokumentierte Episoden von Krankheiten“, erklärt Prof. Hecking. So zum Beispiel Katarrh, Scharlach-Ausschlag, eitrige Halsentzündung, rheumatische Polyarthritis, Streptokokkenangina, Typhus, Hepatitis A usw. Mozart sei öfters in Lebensgefahr geschwebt. So schildert Vater Leopold Mozart am 29.02.1764 aus Paris in einem Brief an den Freund und Hausherrn, den Salzburger Kaufmann, Johann Lorenz Hagenauer, dass der Sohn „Halsweh und Katarrh“ habe und ein „Stechen im Hals, dass er in Gefahr war zu ersticken“. Nach vier Tagen ging es besser. „Nun ist er Gottlob gut“. Halsweh und Katarrh wurde damals zu einem „bedrohlichen Ereignis“, wie Prof. Hecking es beschrieb, was heutzutage keinem mehr Angst mache.

1765 bekam er, wie seine Schwester Anna Maria, in Den Haag Typhus mit hohem Fieber, 1767 ereilte Mozart wieder eine lebensbedrohliche Krankheit. In Tschechien fing er Pocken auf und überlebte nur knapp. Der Tod war für Mozart immer wieder gegenwärtig. So auch auf tragische Weise bei der 3. Parisreise, allein mit seiner Mutter, welche am 3. Juli 1778 in Paris an Typhus starb.

Nicht nur dass der Sohn allein mit diesem Schicksal fertig werden musste, wollte er auch für den Vater eine Last übernehmen und ihm so behutsam als möglich mitteilen, dass seine Frau gestorben war. In einem Brief, unmittelbar in der Nacht, nach dem Tod der Mutter, schrieb er: „Meine liebe Mutter ist sehr krank … sie ist sehr schwach …man gibt mir Hoffnung, ich aber habe nicht recht … bin getröstet, mag es ausfallen wie es will.“ Er überlasse es „Gott, so wie er es haben möchte“, denn "kein Arzt" könne "über Leben oder Tod entscheiden".

Es folgte der 1. Satz des Dissonanzen-Quartett von Wolfgang Amadeus Mozart KV 465, von einem erlesenen Streichquartett mit Prof. Hellsberg, seinen Söhnen Dominik und Benedikt und Rudolf Bauerstatter von den Wiener Philharmonikern. Denn mit und nach Musik würden Dinge anders aufgenommen werden, meinte Prof. Hecking.

Mozart sei ein tiefgläubiger Mensch gewesen. Ob er Angst vor dem Tode hatte, eine Vorahnung, als er das Requiem schrieb, wisse man nicht. In den letzten Monaten vor seinem Tod schrieb er unter Zeitdruck an der „Zauberflöte“. Es war ein Auftrag eines unbekannten Auftraggebers, von einem Boten übermittelt. Zwischendurch schrieb er die „Freimaurerkantate“ in C major KV 623, musste nach Prag um „La Clemenza di Tito“ aufzuführen. Am 5. Dezember 1791 starb Mozart.

Die genaue Todesursache kenne man bis heute nicht, meint Prof. Hecking. Erwiesen sei, dass Mozart auch noch kurz vor dem Tod weder schwächelnd war noch depressiv. In den letzten Tagen habe er Fieber, Wassereinlagerungen in den Füßen, Ödeme und vermutlich auch Streptokokken gehabt. Vielleicht seien es Soldaten gewesen - sie litten oft an Ödemen - und lösten eine Streptokokkenepidemie aus.

Vielleicht aber müsse man auch nicht immer alles erklären, schliesst Prof. Hecking seinen Vortrag. Es bliebe das von ihm geschätzte Zitat von Goethe: „… So konnte ich mich des Gedanken nicht erwehren, dass die Dämonen, um die Menschheit zu necken und zum besten zu haben, mitunter einzelne Figuren hinstellen, die so anlockend sind, dass jeder nach ihnen strebt, und so groß, daß niemand sie erreicht. … So stellten sie den Mozart hin als etwas Unerreichbares in der Musik.“

Und noch einmal erklang ein Stück aus dem Dissonanzen-Quartett.


Wiener Abend in Andermatt

Ein Wiener Abend in Andermatt - wie darf man sich das vorstellen? Der künstlerische Leiter der Andermatt Swiss Alps Classics, Prof. Clemens Hellsberg, wählte das Programm doppelt mutig aus. Nicht nur, dass das Wagnis immer groß ist, wenn etwas zum 1. Mal stattfindet, wie eben das Festival. Sondern auch noch Sänger und Musiker aus Wien engagieren, die das Wiener Flair samt Wiener Dialekt nach Andermatt bringen.

Und wie die Philharmonie Schrammeln Wien das taten. Kaum Zurückhaltung, vom ersten Ton an. Im Menuett in D-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart deuteten die Musiker bereits an, welch (ungewöhnliches) Klangvolumen in ihren Instrumenten steckt. Es folgte die Arie „Oh wie ängstlich“ aus Die Entführung aus dem Serail (Wolfgang Amadeus Mozart 1756 - 1791), arrangiert von Heinz Hromada, dem Musiker an der doppelhälsigen Kontragitarre. Der Solist der Wiener Staatsoper, Herbert Lippert, spürte sofort, welche Nuancen die Stimmstärke in dem intimen Konzertraum vertrug. Der Schwenk zu Vindobona, du herrliche Stadt, von Josef Schrammel (1852- 1895), Arrangement: Alfons Egger, gelang dem facettenreichen Tenor aus Oberösterreich mühelos. Lippert, der von Beginn seiner Karriere mit namhaften Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt, Riccardo Muti, Sir Georg Solti oder Franz Welser-Möst zusammenarbeitete, fühlt sich neben Opernarien auch im Wienerlied sehr wohl.

„Ich war richtig gespannt, wie die Zuhörer reagieren werden, ob sie überhaupt den Dialekt verstehen", meinte er nach seinem Auftritt. Und wie sie reagierten. Schon nach den ersten Stücken scheue Bravorufe, heiteres Schmunzeln während witziger Textstellen, lautes, langes Klatschen am Ende des Konzerts. Die Menschen verstanden sich. Musik mit Herz tat seine Wirkung.

Was kann man sich unter „Schrammelmusik“ vorstellen? Tatsächlich ist sie im engeren Sinne einem Brüderpaar aus Neulerchenfeld, einem Wiener Vorort, zuzuschreiben. Dort kamen 1850 und 1852 Johann und Josef Schrammel zur Welt. Sie erhielten klassische Geigenausbildung und gründeten 1878 mit dem Gitarristen Anton Strohmeier das Terzett „Die Nussdorfer“. Später schloss sich mit Georg Dänzer das vierte Instrument, die hohe G-Klarinette oder „picksüßes Holz“, wie es genannt wird, an. Als Dänzer starb (1893), wurde kein ebenbürtiger Klarinettist gefunden, sodass sich das Quartett für eine Besetzung mit Ziehharmonika entschied. Die „Schrammelmusik“, ein volkstümliches Genre, welches oft in der klassischen Musik wurzelt, wurde von Weinbauern und einfachen Heurigenbesuchern wie auch von hohem Adel und berühmten Komponisten, so zum Beispiel Johann Strauß oder Johannes Brahms gleichermassen geschätzt.

Gestern, beim Wiener-Abend, traten die Philharmonia Schrammeln Wien zu fünft auf: Zwei Geigen, G-Klarinette, Kontragitarre und Ziehharmonika. Werke von Johann und Josef Schrammel waren vertreten, Leo Ascher, Josef Lanner, Robert Stolz, Johann Strauss. Spritzig und rasend schnell, wie bei der Figaro-Polka von Philipp Fahrbach jun. (1843 - 1894), Arrangement: Alfons Egger, oder die grandios witzig gespielte Scherzpolka Kellner zahl’n von Carl Wilhelm Drescher (1850 - 1925), Arrangement: Josef Mikulas. Bei Wiener Gemütlichkeit, aus Der lachende Ehemann von Leo Ascher (1880 - 1942) oder Wien, Weib, Wein von Ludwig Gruber (1874 - 1964) gab Herbert Lippert gekonnt zum Besten, wie der wahre Wiener fühlt. Es ging ins sozusagen ins „Wiener“ Blut über.

Noch kurz zum Wienerlied. Im Programmheft steht auf Seite 49: „Dieses ist im 19. Jahrhundert aus der Tradition der Bänkel-Sänger entstanden. Es besingt, zumeist im Wiener Dialekt, die Stadt samt ihren Schönheiten sowie manch typische Wesenszüge der Bewohner, wie den Hang der Wienerinnen und Wiener zur Gemütlichkeit. Auch Tod und Vergänglichkeit sind häufig wiederkehrende Themen, was dem Wienerlied eine gewisse Melancholie verleiht, dem aber auch Spott und schwarzer Humor nicht fremd sind.“

Mit dem vielleicht berühmtesten Wienerlied von Johann Strauss (1825 - 1829), dem Walzer „Wiener Blut“ (Arrangement Martin Kubik) ging der beschwingt heitere Abend zu Ende. Mit viel Applaus und einer Zugabe: „Du guater Himmelvoder, i brauch ka Paradies, i bleib viel lieber doda, …. (Alexander Krakauer 1866 - 1894).

Mozart: Klischee und Wirklichkeit

Der Archivdirektor der Gesellschaft der Musikfreunde Wien, Prof. Dr. Dr. h.c. Otto Biba, ging am 28. Juni im Hotel The Chedi der immer wieder aufs Neue der faszinierenden Frage nach, was vom gängigen Mozartbild der Wahrheit entspricht und was Klischee ist.

Allein die Tatsache, dass Mozart lange Zeit als „Liebling der Götter“ ebenso „verkauft“, wie als „verkanntes Genie“ oder als „verarmter Mozart“ gesehen wurde und wird, weist darauf hin, dass keine der beiden Sichtweisen stimmen kann. Weshalb gibt es aber so unterschiedliche Blickwinkel, obwohl von Mozart laut Professor Biba „so viele Briefe wie von kaum einem anderen Komponisten“ erhalten sind?“

Die Antwort liegt einerseits darin, dass Vater Leopold Mozart in allen seinen Briefen, etwa an den Freund und Hausherrn, den Salzburger Kaufmann Johann Lorenz Hagenauer, nur von den schönen Seiten der umfangreichen Reisetätigkeit der Familie berichtete, was Professor Biba wörtlich als „geniale Öffentlichkeitsarbeit“ bezeichnete; andererseits war Wolfgang in seinen zahlreichen Briefen darum bemüht, dem Vater die Geschehnisse so darzustellen, wie dieser sie gerne lesen wollte.

Es versteht sich von selbst, dass auch weiterhin neue Forschungsergebnisse zu einer ständigen Revision des Mozartbildes führen werden. Einige Klischees sind jedoch schon jetzt eindeutig als solche entlarvt, etwa der Mythos vom „Wunderkind“. Otto Biba zufolge war es im 18. Jahrhundert „fast Mode, hochtalentierte Kinder in der Öffentlichkeit zu präsentieren“. Mozart sei einer von vielen gewesen, der am Hofe von Kaiserin Maria Theresia vorgespielt hätte. Was ihn hervorhob, sei das Komponieren, schon in Kinderjahren gewesen. Aber auch hier sei Vorsicht angebracht, denn sehr viele seiner frühen Partituren weisen zahlreiche Korrekturen von Leopold Mozart auf.

Ein tatsächliches „Wunder“ ist hingegen die Tatsache, dass Mozart zwar Skizzen verfasste, sämtliche Kompositionen aber im Kopf fertigstellte. Die schriftliche Fixierung war lediglich ein „Abschreiben“, was auch durch authentische Zeugnisse (etwa Mozarts Bemerkung auf einem Autograph, das vorliegende Werk sei „unterm Kegelscheiben“ geschrieben worden) belegt ist. Da er zudem die Arbeit an manchen Werken unterbrach, um sie bei anderer Gelegenheit und Jahre später wieder aufzunehmen, stellte Professor Biba die Frage in den Raum, wie viele der im Kopf geschriebenen Stücke nie „abgeschrieben“ und ins Grab mitgenommen wurden.

Mozart „wollte immer aktuell sein“ und war bemüht, sich den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen, so etwa, wenn er am Vorabend einer Aufführung einen Satz umschrieb, weil es seiner Meinung nach dem „Pariser Publikum nicht entsprochen hätte“. Und Mozart hatte absolut keine Scheu Kompositionen anderer zu studieren und sie zu „erhöhen“, wie Professor Biba es formulierte, „eine Idee nehmen, die in der Luft liegt und etwas daraus machen, das sei das Genie“.

Mozart und der Komponist Antonio Salieri seien keine Feinde sondern Kollegen gewesen, die Erzbischöfe von Salzburg, Schrattenbach und Colloredo Förderer und nicht Missgünstige der Familie Mozart, das Einkommen Mozarts sei gut gewesen, er verlor nur durch das (verbotene) Glücksspiel viel Geld. Und der graue Bote, der das Requiem in Auftrag gab? Es war damals nicht unüblich, dass Auftraggeber anonym blieben und eine bestellte Komposition als ihre eigene ausgaben.

Zum Abschluss seines faszinierenden Vortrags zitierte Professor Biba den berühmten Brief Mozarts vom April 1787, in dem sich das damals 31 Jahre alte Genie mit dem Tod auseinandersetzt, der für ihn etwas „Beruhigendes und Tröstendes“ habe und den er als „wahren, besten Freund des Menschen“ und „als den Schlüssel zu unserer wahren Glücksseligkeit“ bezeichnet: Für diese danke er „alle Tage“ seinem Schöpfer „und wünsche sie vom Herzen Jedem meiner Mitmenschen.“


Die russische Sopranistin Olga Peretyatko verzaubert mit außergewöhnlichem Liederabend

Der Ort hätte nicht besser gewählt sein können. In der wunderschönen, barocken Pfarrkirche St. Peter & Paul, gab Olga Peretyatko, eine der gefragtesten Sopranistinnen unserer Zeit, einen außergewöhnlichen Liederabend. Architektur und Musik verschmolzen zu einem großartigen Gesamtkunstwerk.

Der Kirchenraum war gut gefüllt, mit Igor Levit unter den Gästen. Viele kleine, weiße Kerzenlichter brannten auf und neben den Altären, Arrangements aus weißen Blumenbouquets schmückten den Kirchenraum.

Als Olga Peretyatko mit dem Pianisten Semjon Skigin auf die Bühne trat, hob die Sopranistin ihre Stimme nicht, wie im Programm vorgesehen, zum ersten Lied an, sondern Skigin begann mit dem Präludium Nr. 1 in C-Dur aus dem „Wohltemperierten Klavier“ BWV 846, währenddessen die Sängerin zum Kerzenpult der Kirche ging und zwei Kerzen anzündete. Ein berührender Beginn.

Mit „Bist du bei mir, geh ich mit Freuden zum Sterben und zu meiner Ruh. Ach, wie vergnügt wär so mein Ende, es drückten deine schönen Hände mir die getreuen Augen zu!“ (Dichter unbekannt), aus dem Zweiten Notenbuch für Anna Magdalena Nr. 25 von Johann Sebastian Bach eröffnete Peretyatko den Reigen der Lieder.

Das gesamte Programm war an Abwechslung, an Dynamik und großartiger Stimmvariation kaum zu überbieten. Klar und fein wie ein Bergbächlein, wuchtig wie ein vom Regen angeschwollener Wasserlauf, welche von den vielen Seiten der Berge ins Urserental rauschen, präsentierte sich die Stimme der Sängerin.

Bach, Mozart, Clara Schumann, Schubert, Verdi, Glinka, Strauss, Rimski-Korsakow, Rachmaninow und Tschaikowsky – deutsch, italienisch, russisch, dazwischen Solostücke des Pianisten Semjon Skigin. Besonders schwungvoll und leicht z. B. die Suite in d-Moll für Klavier von Leopold Mozart aus dem Notenbuch für (den sechsjährigen) Wolfgang von 1762.

Sie hätten sehr lange an dem Programm gefeilt, sagte Olga Peretyatko. Jedes Stück brauche seinen ganz bestimmten Platz, um für den gesamten Abend einen großen Bogen zu schaffen. Bis auf Rachmaninow hätte sie alle Stücke das erste Mal in einem Konzert gesungen. Es sei überhaupt ihr erstes Rezital gewesen, in dem keine Opernarie vorkam. Und das in Andermatt, inmitten der umgebenden, hohen Bergwelt.

Apropos hoch und Bergwelt. Andermatt liegt auf 1447 m Höhe. Ob sie diese Höhe beim Singen gespürt habe. „Ich habe beim Singen viel öfter atmen müssen“, meinte sie, das sei eine Umstellung gewesen. Auch habe sie sich keine Vorstellung gemacht, wie die Kirche aussehen würde. Dann, bei der Probe, „war ich sehr, sehr beeindruckt. Der Ort ist wunderschön.“

Wunderschön waren auch ihre Darbietungen. Zum Beispiel die dreifache Vertonung vom Lied der Margarete („Meine Ruh ist hin“) aus Johann Wolfgang von Goethes Tragödie „Faust“: Gretchen am Spinnrad D 116 von Franz Schubert, Perduta ho la pace von Giuseppe Verdi, Lied der Margarete von Michail Glinka in Russisch. Oder Gefangen in der Rose singt die Nachtigall von Nikolai Rimski-Korsakow mit einem ergreifend meditativen Schluss.

Russisches Temperament durchdrang die Lieder von Rachmaninow und Tschaikowsky, Melancholie und Sehnsucht die Vertonungen von Clara Schumann in Heinrich Heines Gedichten Ich stand in dunklen Träumen und Loreley oder in den Versen von Emanuel Giebel Liebeszauber.

Der „Bogen blieb gespannt“, den ganzen Abend lang, wobei die Zugabe wieder an den Beginn zurückführte: Olga Peretyatko und Semjon Skigin beendeten ihn mit „Ave Maria“, der weltbekannten Adaptierung des ersten Präludiums aus Bachs „Wohltemperierten Klavier“ durch Charles Gounod – ein Geniestreich, der im einzigartigen Ambiente der Kirche St. Peter & Paul besonders eindrucksvoll zur Geltung kam.


Starpianist Igor Levit eröffnet Premiere des Andermatt Swiss Alps Classics Festival

Es lag etwas ganz Besonderes in der Luft, als Igor Levit zu den ersten Tönen beim gestrigen Eröffnungs-Konzert des Klassik-Festivals ansetzte. Ganz leise und sanft erklang Wolfgang Amadeus Mozarts Fantasie für Klavier in d-Moll, KV 397. Nur der Pianist und der Steinway - Flügel auf einem großen Podium, im Hintergrund warfen Scheinwerfer Schatten in verschiedensten Formen auf die graue Kletterwand. Stehtische, weiße, brennende Kerzen in schwimmenden Wasserbassins aus Glas im Eingangsbereich, an den Wänden schwarze Vorhänge, in der Mitte das konzentrierte Publikum. Die Mehrzweckhalle war zu einem stimmungsvollen Konzertraum umgestaltet worden.

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne...“, dieses Zitat von Hermann Hesse passte wunderbar auch an diesem Abend. Ein Same wurde gelegt zu einem neuen Festival, das Großes für die Zukunft vorhat. Von einem „Wunder von Andermatt“, sprach der Ständerat des Kanton Uri, Josef Dittli, gestern in seiner Ansprache, nachdem der Initiator des Festivals, Peter Michael Reichel, den Auftakt der Reden machte. Dittli blickte auf die Zeit zurück, als Andermatt und die gesamte Region, Ende des 20., Anfang des. 21. Jahrhunderts von gravierenden, wirtschaftlichen Folgen geplagt wurde, nachdem sich die Armee nach und nach aus dieser Gegend zurückgezogen hatte. Er erinnerte sich an die ersten Gespräche mit dem ägyptischen Investor Samih Sawiris und wie ihm die Parzelle des ehemaligen Hotel Bellevue zum Kauf angeboten wurde.

Niemand konnte damals erahnen, dass sich Herr Sawiris 2005 in die Gegend verliebte und nicht eine Parzelle sondern 10.000e von m2 bebauen werde. Niemand konnte erahnen, dass 12 Jahre später der nächste Meilenstein gelegt wird, der Andermatt prägen sollte: Das Andermatt Swiss Alps Classics Festival. Und das alles, wie der Initiator des Festivals, Peter Michael Reichel in seiner Rede erzählte, weil er vor 20 Jahren zufällig den künstlerischen Leiter des Festivals, Prof. Dr. Clemens Hellsberg, auf einem Flug nach New York kennengelernt hatte.

Die Eröffnung des Festivals oblag dem künstlerischen Leiter, der über die unglaubliche Schaffenskraft des Komponisten Joseph Haydn sprach, über seine Ideen, die grenzenlos zu sein schienen, nur der Körper hindere ihn, wie er in einem Brief schrieb, noch mehr zu leisten. Diese Grenzenlosigkeit aber, diese soll auch Motivation und Leitidee für das Festivals sein.

Nach Mozart’s Fantasie - wie passend, darf man doch fantasieren, dass Wunder hier in Andermatt wahr werden - Auszüge aus den 24 Präludien und Fugen op. 87. Mit einer Leichtigkeit flogen die Finger über die Tasten. Keine leichte Kost hingegen, die Igor Levit dem Publikum servierte, und doch so wunderbar verdaulich.

Nach der Pause wurde das Publikum weiter gefordert. Der Starpianist, der neben der Vorgabe, ein Stück von Mozart zu spielen, das Programm selbst zusammenstellen konnte, hatte sich für Ludwig van Beethovens "33 Veränderungen (C-Dur) über einen Walzer von Anton Diabelli" entschieden. Voller Hingabe und ohne Noten spielte er eine Variation nach der anderen. Pausierte kurz eine Hand, strich sie schnell einige Schweißperlen von der Stirn und schon ging es in rasantem Tempo oder langsam und ganz leise, ohne zu leise zu sein, weiter.

Faszinierend, wie der Künstler es schaffte, das Publikum über zwei Stunden lang mitzunehmen. Eine Nadel hätte fallen können, man hätte sie gehört. Der Applaus setzte nur zögerlich ein. Die Stille im Raum nach dem letzten Ton wollte nicht durchschnitten werden.

Es war ein äußerst gelungener Auftakt für das 1. Andermatt Swiss Alps Classics Festival, das Vieles verspricht. Ein Beginn in einer Sanftheit und doch Bestimmtheit, Variantenreichtum, ein Publikum, das berührt und ergriffen ist - vielleicht ein gutes Omen für die Festivalleitung und die Bevölkerung von Andermatt und der gesamten Region.

„Kunst ist der Versuch zu verstehen, wer ich in dieser Welt bin“ - Igor Levit im Gespräch mit Clemens Hellsberg

Der Vortrag von Prof. Zeman sollte die unbeabsichtigte Ouvertüre zu dem heutigen nachmittäglichen Gespräch mit Igor Levit werden, der für den erkrankten Rolando Villazón einsprang. Die Festivalleitung hatte nicht zu viel versprochen. In wahrhaft intimer Atmosphäre, der Künstler zum Greifen nah, führte Prof. Clemens Hellsberg, der künstlerische Leiter des Andermatt Swiss Alps Classics, eine hochinteressante Diskussion mit dem 30-jährigen Pianisten von Weltrang.

Auf die einleitende Frage von Hellsberg, ob ein Musiker das Seelenleben eines Komponisten nach außen transportieren könne, bemerkte Igor Levit, dass ihm der Blick in das eigene Seelenleben viel interessanter erschiene. „Ich versuche zu verstehen, wie es der Komponist gemeint haben könnte und lege mein Eigenes hinein.“ Dies „so bewusst zu tun, wie es möglich ist“, sei das höchste Ziel.

Reinheit und Wahrheit, das mache die Größe von Wolfgang Amadeus Mozart aus. Es gebe Stücke von Mozart, wo „eine Schicht nach der anderen aufbreche“, meinte Igor Levit. „In jedem einzelnen Ton … ist dieses ethische Ideal vorhanden.“ Ob er damit nicht diese Aura der Göttlichkeit meint, wie sie von vielen Bewunderern bei Mozart gesehen wird, fragte Prof. Hellsberg. „Seit ich denken kann, glaube ich an den Menschen“, entgegnete der Pianist, „ich würde den Begriff des Göttlichen weniger verwenden, als jenen des Menschlichen“.

Der Gesprächsleiter, der selbst langjähriger Primgeiger und Vorstand der Wiener Philharmoniker war, erzählte zahlreiche Anekdoten aus seinem Musikerleben. Jeder Künstler werde sich zumindest einmal in seinem Leben die kritische Frage stellen, ob Kunst Bildung sei oder zur Kategorie „Schönheit des Nutzlosen“ gehöre. Für ihn selbst sei Kunst „Forderung und Herausforderung, die uns in die Pflicht nimmt.“ Wie es Igor Levit damit ergehe. Er meinte, ohne lange nachzudenken: „Musik kann etwas bewegen, was ein Bild nicht kann.“ "Kunst um ihrer selbst willen“ aber sei eine „Idee, an die ich nicht glaube“. Man könne sie nicht von dem übrigen Leben abtrennen.

Bei Bildung und Kunstgenuss in ihrer höchsten Ausprägung gehe es nicht um Selbstgenügsamkeit, nicht nur um die „Proklamation von Werten“, sondern darum, „danach zu handeln“. Neben der Ethik von Mozart sei die Aussage in der „Missa solemnis“ von Beethoven, „von Herzen – möge es wieder zu Herzen gehen“, die Antwort. Sie sei gleichbedeutend wie „von Mensch zu Mensch“, meinte Igor Levit und fragte kritisch: "Was passiert, wenn man aus dem Konzertsaal geht?“

Ungezwungen, ehrlich, natürlich gab der Pianist von seinem Innenleben preis. Auf die Art, wie es der Moment gerade verlangte. Vielleicht ist ihm Mozart in dieser Hinsicht ein Vorbild.

Igor Levit im Gespräch mit dem künstlerischen Leiter des Festivals, Dr. Clemens Hellsberg

Dem Publikum bietet sich die seltene Gelegenheit, dem Gespräch mit einem großartigen Musiker in persönlicher Atmosphäre beizuwohnen, ganz im Sinne des Zitats von Dominique Meyer: „In großen Städten ist manchmal der Impuls von Festspielen weniger stark spürbar als in einer kleineren Stadt oder einem Dorf, wo die Trennung zwischen Künstlern und Publikum nicht so markant ist. Es ist gewissermaßen auch die Botschaft des Andermatt Swiss Alps Classics, dass sich Künstler und Zuschauer in einer wunderschönen Umgebung näher kommen und diese Begegnung dem Publikum einen unmittelbaren Zugang zur Kunst ermöglicht.“

Mozarts unzählige Facetten

Zum Einen ist da natürlich seine die Musik, die weltbekannt ist und Millionen von Menschen berührt. Zum Anderen gibt es aber auch Seiten des berühmten Komponisten, die vielleicht nicht einmal „Insider“ kennen.

Wie, zum Beispiel, sah „Mozarts literarische Welt“ aus? Welche Klischees haben sich über die Jahrhunderte hartnäckig gehalten und was hält der wissenschaftlichen Überprüfung stand? Welche Rolle spielten „Mozarts Krankheiten“ bei seinem frühen Tod im Alter von 35 Jahren? Als Sechsjähriger schrieb Mozart seine erste Komposition, seit rund einem Vierteljahrtausend werden seine Werke aufgeführt. Wie sieht es mit der „Pflege von Mozarts Werken“ aus? Hochspannende Vorträge von hochrangigen Professoren begleiten das Andermatt Swiss Alps Classics. Ort: Hotel The Chedi Andermatt.

Am Montag, den 26. Juni eröffnet Univ.-Prof. Dr. Herbert Zeman die Vortragsreihe mit „Mozarts literarische Welt“. Um 11:00 Uhr wird im Hotel The Chedi Andermatt zu hören sein, für welche Literatur sich Mozart interessiert hat und welche ihn besonders inspirierte.

Herbert Zeman, emeritierter Ordinarius für neuere Deutsche und Österreichische Literatur an der Universität Wien, ist heute der Doyen und die führende Autorität auf diesem Forschungsgebiet. Er lehrte an den bedeutendsten Universitäten aller Kontinente und beeinflusste die Forschung durch seine zahlreichen Publikationen richtungsweisend. Zemans besonderes Interesse gilt der deutschen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts, insbesondere der Goethe-Zeit im engeren Sinn. Zudem erforscht er die österreichische Literatur in ihrer Gesamtentwicklung sowie das Zusammenwirken von Dichtung und Musik. Neben seinen Publikationen hat Professor Zeman auch durch seine Tätigkeit als Präsident der Österreichischen Goethe-Gesellschafft und weitere öffentliche Funktionen prägenden Einfluss auf das allgemeine kulturelle Leben in Österreich.


Am Mittwoch, den 28. Juni (15:00 Uhr), wird Prof. Dr. Dr. h. c. Otto Biba, über „Mozart: Klischee und Wirklichkeit“ sprechen. Was ist nun wirklich wahr an den unzähligen Geschichten und Anekdoten über Mozart? War er tatsächlich im Umgang mit Erzbischöfen und dem kaiserlichen Hof des Öfteren frech, in seinen Manieren manchmal wenig vornehm? Darüber und über viele andere Aspekte wird uns Professor Biba erzählen, der meint: „Vor allem das Miteinander von Musik und Wissenschaft halte ich für besonders wichtig. Das Publikum soll bei einem Musikfestival authentisch und auf letztem Wissensstand über Komponisten, deren Werke auf dem Programm stehen, informiert werden und die Möglichkeit erhalten, das eigene Bild von diesen Meistern auf Legende und Wahrheit zu überprüfen, zu aktualisieren und zu ergänzen.“

Professor Biba ist seit 1979 als Archivdirektor der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien tätig und lehrte ferner an der Universität Wien sowie an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Zahlreiche Publikationen sowie Editionen von mehr als 120 musikalischen Werken aus der Zeit des Barock, der Klassik und der Romantik zeugen von seinem umfassenden Wissen. Daneben agiert er als Kurator von Ausstellungen in Europa, den USA und Japan und hält Vorträge auf der ganzen Welt.


Schon am darauffolgenden Tag, am Donnerstag, den 29.06., wird Univ.-Prof. Dr. iur. Dr. phil. Oliver Rathkolb über „Leopold Mozart und seine Welt“ referieren. Obwohl selbst Komponist von Werken, die noch heute aufgeführt werden, und Verfasser einer weltberühmten Violinschule, ist Leopold Mozart einer breiten Öffentlichkeit beinahe ausschließlich als Erzieher und Ratgeber seiner Kinder Maria Anna (Nannerl) und Wolfgang bekannt. Oliver Rathkolb beleuchtet in seinem Vortrag die Weltsicht dieses humanistisch gebildeten Musikers, der die Entwicklung und Laufbahn seines Sohnes entscheidend beeinflusste – und letztlich dem Weg des Genies nicht folgen konnte.

Univ.-Prof. Dr. iur. Dr. phil. Oliver Rathkolb ist als Institutsvorstand am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien tätig. Er ist ferner Herausgeber der Fachzeitschrift „zeitgeschichte“ sowie Mitglied bzw. Wissenschaftlicher Beirat mehrerer Gremien (Europäisches Parlament/Brüssel, Jüdisches Museum Wien, Haus der Geschichte etc.). Für seine zahlreichen Publikationen erhielt er mehrere Auszeichnungen wie etwa den Donauland-Sachbuchpreis Danubius (2005), den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch (2005), den Preis der Stadt Wien für Geisteswissenschaften oder das Grosse Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (2016).

Am Freitag, den 30. Juni, um 15:00, befasst sich der Musiker und Arzt Prof. Priv-Doz. Dr. med. Manfred Hecking mit „Mozarts Krankheiten“. Als Kontrabassist war er Mitglied der Münchner Philharmoniker (1999–2001) und der Wiener Philharmoniker (2001–2006). In seinem „zweiten“ Leben promovierte Hecking zum Doktor der Medizin und kennt somit beide Seiten – die Musik und die Medizin. Deshalb ist es doppelt spannend, wenn er über die Krankheiten Mozarts erzählt. Waren es die damaligen Lebensbedingungen, die Menschen generell öfter krank werden liessen, waren es die vielen Reisen des jungen Mozarts, waren es die ständige Konzentration, Anspannung und der Erwartungsdruck, dem Mozart ausgesetzt war, die ihn leichter erkranken ließen?

Professor Hecking wird neue Erkenntnisse ermöglichen: „In ihrer Verbindung lassen sich (medizinische) Wissenschaft und Musik, also Geist und Kultur, besser und tiefer erleben. Daher freue ich mich besonders, beim Festival ‚Andermatt Swiss Alps Classics‘ nicht nur mitspielen (Anm. Redaktion: es wurde in einem früheren Newsletter darüber berichtet), sondern auch vortragen zu dürfen – über Mozart, vorrangig aus medizinischer Sicht.“


Den Abschluss der wissenschaftlichen Vorträge macht der Direktor der Wiener Staatsoper, Dominique Meyer. Er wird „Zur Pflege von Mozarts Werken“ sprechen, die neben profunder Kenntnis von Leben und Schaffen des Meisters auch eines besonderen Einfühlungsvermögens in seine Musik bedarf.

Dominique Meyer wurde 1955 im Elsass geboren und war von 1979 bis 1988 Professor für Wissenschaft und Forschung, Wirtschaft und Verwaltung an zahlreichen Instituten in Paris und Lyon. Er arbeitete in unterschiedlichen Positionen des öffentlichen Dienstes und war maßgeblich an der Gründung der ersten CD-Fabrik Frankreichs (der zweiten weltweit) beteiligt. Von 1984 bis 1986 gehörte er dem Kabinett des Kulturministers Jack Lang in beratender Funktion an, 1986 bis 1988 stand er den Präsidenten der Pariser Oper, Pierre Viot und Raymond Soubie, zur Seite. 1988 war er Berater im Kabinett des Ministeriums für Kultur und Kommunikation. 1989 bis 1990 war Dominique Meyer Generaldirektor der Pariser Oper mit Palais Garnier und Opéra Bastille, von 1999 bis 2010 Generalintendant und Künstlerischer Leiter des Théâtre des Champs-Elysées in Paris. Seit 1. September 2010 ist er Direktor der Wiener Staatsoper, daneben auch Lehrbeauftragter am Institut für Theater-, Film und Medienwissenschaft an der Universität Wien.


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